Auswirkungen der Schuldenbremse auf die Sicherheitsarchitektur in Deutschland

Zusammenfassung

Versuche, die staatliche Ordnung in wesentlichen Teilen zu verändern, können auf relativ leisen Sohlen daher kommen. So geschehen am 3. Januar, als Bundesinnenminister De Maizière „Leitlinien“ vorstellte für (s)einen „starken Staat in schwierigen Zeiten“ [1]. Er fordert dort u.a. eine Zentralisierung der Verfassungsschutzbehörden beim Bundesamt für Verfassungsschutz. Die Landesämter für Verfassungsschutz würden damit zu Außenstellen des Bundesamts gemacht.

De Maizière setzt damit eine Politik fort, die er in seit geraumer Zeit betreibt, wenn auch auf sehr leisen Sohlen. Es geht ihm um die schrittweise Entmachtung der Länder in Fragen der Inneren Sicherheit und um die Zentralisierung von Polizei und Verfassungsschutz beim Bund, also in seinem Haus. Neben entschlossen klingenden Forderungen in einer aufgeheizten Situation nach dem bisher schlimmsten terroristischen Anschlag in Deutschland nutzt er für seine Zwecke die Auswirkungen der Föderalismusreform II. Sie sind bekannt unter dem Begriff „Schuldenbremse“ und ein Lieblingsthema von Bundesfinanzminister Schäuble, De Maizière’s Vor-Vorgänger im Amt des Bundesinnenministers.

Denn dessen Konzept von der „schwarzen Null“ hat zur Folge, dass die Länder finanziell ausgetrocknet wurden und weiterhin werden und sich die notwendigen technischen Anschaffungen und IT-Systeme gar nicht mehr leisten können. Hilfreich springt hier – nun schon zum zweiten Mal – der Bund ein, übernimmt scheinbar selbstlos Investitionen für die Länder und schafft damit Fakten.

Diese Bestrebungen stehen im Widerspruch zu der im Grundgesetz niedergelegten föderalen Struktur und den Hoheitsbefugnissen der Bundesländer. Und sie widersprechen dem, ebenfalls mit der Verabschiedung des Grundgesetzes definierten, Trennungsgebot. Das auf Bundesebene eine klare Trennung vorsieht zwischen Polizeigewalt und Verfassungsschutz und zwar in funktioneller, informationeller, organisatorischer und personeller Hinsicht. De Maizière ist gerade dabei, beides faktisch außer Kraft zu setzen. Deshalb sprechen wir von „Staatsstreich auf leisen Sohlen“. | Lesedauer: Ca. 10 Minuten

Föderalismusreform I und Innere Sicherheit
Föderalismusreform I ::= Bezeichnung für eine grundlegende Neuordnung der Beziehungen zwischen Bund und Ländern. 2006 beschlossen und in Kraft getreten; die bis dahin umfangreichste Änderung des Grundgesetzes.
Auswirkung der Föderalismusreform I auf die Sicherheitsbehörden:
Erstmalige Aufweichung des Konzepts, dass Polizeiarbeit Ländersache ist: Das Bundeskriminalamt (BKA) hatte bis dahin vor allem Zentralstellenaufgaben und war damit Dienstleister für die Länderpolizeibehörden. Ein wesentlicher Aufgabenschwerpunkt war das länderübergreifende kriminalpolizeiliche Informationssystem (INPOL). Mit der Föderalismusreform I erhielt das BKA zusätzlich die alleinige Zuständigkeit und Befugnisse für die Abwehr von terroristischen Gefahren, sofern eine länderübergreifende Gefahr vorliegt. Auf- und seitdem fortdauernder Ausbau eigener operativer Kräfte des BKA, vor allem in der Abteilung ST = Staatsschutz [2].

Föderalismusreform II und Innere Sicherheit

Mit der Föderalismusreform II wurden 2009 die Finanzbeziehungen zwischen Bund, Ländern und Kommunen neu geordnet. Damit gelangte auch die so genannte ‚Schuldenbremse‚ in das Grundgesetz (Art. 109, 116, 143d GG), auch bezeichnet als das Konzept der ‚Schwarzen Null‘. Ab 2011 sollte mit dem Abbau der bestehenden Schulden begonnen werden, ab 2016 ist die Höhe neu aufgenommener Kredite des Bundes begrenzt auf maximal 0,35% des Bruttoinlandsprodukts, ab 2020 dürfen die Bundesländer überhaupt keine neuen Schulden mehr machen.

Schuldenbremse und ihre Auswirkungen auf die Polizei

Polizeiarbeit, heißt es ja gemeinhin, sei Ländersache. Allerdings zwingt die Schuldenbremse die Länder dazu, sowohl ihre laufenden Kosten, als auch ihre Investitionen für Anschaffungen auf ein Minimum zu reduzieren.

Personalabbau

Personalkosten sind der größte Kostenblock in Polizeibehörden. Vor allem in finanzschwachen Ländern wurden daher in den letzten Jahren Stellen in der Polizei abgebaut, um Personalkosten zu sparen. Aktuell stellt man zwar fest, dass doch mehr Polizisten benötigt werden. Allerdings ist es schwierig, geeignete Bewerber überhaupt zu finden. Außerdem dauert es zweieinhalb bis drei Jahre, bis Polizeianwärter ausgebildet und im Polizeivollzugsdienst einsetzbar sind. Brandenburg beispielsweise versucht das Problem dadurch zu entschärfen, dass Feldjäger angeworben werden, deren Dienstzeit bei der Bundeswehr abläuft.

Investitionen für die technische Ausstattung des operativen Dienstes

Die Anforderungen an die technische Ausstattung für die Polizei nehmen immer mehr zu: Diskutiert wird in diversen Ländern über Bodycams und Elektroschocker bzw. es laufen dazu bereits Pilotprojekte. Die Innenminister der CDU fordern stärkere Bewaffnung durch Mitteldistanz- und Langwaffen. Auch ballistische Schutzwesten und –helme stehen auf der Wunschliste. In mehreren Bundesländern sind bereits Kennzeichenerfassungssysteme im Einsatz. Auch die Videoüberwachung soll nach den jüngsten Ereignissen stark ausgebaut werden.

Auch Wasserwerfer gehören zur technischen Ausstattung der Polizei – in diesem Fall der Bereitschaftspolizei der Länder. Das aktuelle Modell, der Wasserwerfer 10000 (im Polizeijargon: „WaWe 10“) kostet pro Stück rund 900.000 Euro. Das ist zu viel für den klammen Haushalt vieler Länder. Also übernahm der Bund die Beschaffung und Finanzierung. Das Beschaffungsamt des Bundesministeriums des Innern hat bisher 50 Fahrzeuge bestellt mit einer Option auf insgesamt 78.

Ob Bremen, das Saarland oder Brandenburg unbedingt ein, zwei oder drei ‚WaWe10‘ brauchen, ist fraglich. Es hebt natürlich die Reputation des Innenministers. Vorausgesetzt, man kann sich die Personalkosten für Unterhalt und Einsatz überhaupt leisten. Sie sollen sich – dauerhaft – auf rund 60 Mann pro Gerät belaufen.

Zweifelhaft ist auch, ob Wasserwerfer das Einsatzmittel der ersten Wahl sind, wenn es um die Erhöhung der Sicherheit vor terroristischen Angriffen geht oder mehr Sicherheit von Frauen bei Silvesterfeiern. Vermutlich war das aber auch gar nicht die Absicht …

Anschaffungen für die IT-Ausstattung

Vorgangs- und Fallbearbeitungssysteme in den Ländern

Für ihre IT-Ausstattung haben die Bundesländer in den vergangenen fünfzehn Jahren einen hohen dreistelligen Millionenbetrag ausgegeben. Denn es ist – bisher – ausschließlich Sache des einzelnen Landes gewesen, sich das eigene Vorgangsbearbeitungs- und Fallbearbeitungssystem zu beschaffen. Diese Freiheit in der Beschaffung hatte den negativen Effekt, dass die Länder nicht gezwungen waren, auf Kompatibilität ihrer Systeme untereinander zu achten. Die Folge ist heute, dass die Fallbearbeitungssysteme der Länder – das sind sozusagen die Datenbanken der Kriminalpolizei – aktuell nicht in der Lage sind, Informationen miteinander zu teilen. Das ist die erste wesentliche Ursache für den aktuell völlig unzulänglichen Zustand beim Teilen von Informationen der Polizeibehörden.

Zentrale „Datentöpfe“ beim BKA – der Kriminalpolizeiliche Meldedienst

Beim Bundeskriminalamt gibt es schon seit Jahrzehnten zentrale Informationssysteme, die unter dem Oberbegriff Kriminalpolizeilicher Meldedienst (KPMD) und Sondermeldedienste zusammengefasst werden. Die Polizeibehörden der Länder sind verpflichtet (!), Informationen zeitnah in diese Datenbanken einzugeben, wenn bestimmte Ereignisse von überregionaler Bedeutung im jeweiligen Land geschehen sind. Dazu gehören politisch motivierte Straftaten, Ereignisse aus dem Rockermilieu, Straftaten gegen Leib und Leben, sowie bestimmte Eigentumsdelikte.

Obwohl das Bundeskriminalamt sich redlich Mühe gegeben hat, den Ländern technische Brücken („Schnittstellen“) für die elektronische Anlieferung entsprechender Informationen zur Verfügung zu stellen [3], war bei vielen Ländern letztlich dafür dann kein Geld da. [Ob dies den Tatsachen entspricht, ob dies Folge einer Investitionsplanung war, bei der die Anbindung an die Bundessysteme bei der alljährlichen Haushaltsplanung nur geringe Priorität erhielt, oder ob dies Folge der Preispolitik des Marktführers für Fallbearbeitungssysteme war, der sich solche Schnittstellen teuer bezahlen ließ, lässt sich heute nicht mehr genau feststellen: Vermutlich war es eine Mischung aus allem.] Die Folge ist, dass heute die wenigsten Länder in der Lage sind, ihre Informationen elektronisch anzuliefern [4]: Nicht einmal im Falle eines terroristischen Angriffs oder einer Großschadenslage sind die Länder flächendeckend in der Lage, Informationen „auf Knopfdruck“ an den zentralen Datentopf zu schicken. Man setzt dagegen auf manuelles Eintippen. [Denn es besteht ja nur die Verpflichtung zur Anlieferung innerhalb bestimmter Frist, aber keine Vorschrift über das Wie!] Das bedeutet Mehrarbeit, weil Informationen, die im landeseigenen System bereits erfasst sind, im „Bundesdatentopf“ noch einmal erfasst werden müssen. Es hat zwangsläufig auch zur Folge, dass auch diese Erfassungen nicht mit oberster Priorität erfolgen und daher nicht unbedingt zeitnah zum Ereignis stattfinden. Das ist die zweite wesentliche Ursache für den aktuell völlig unzulänglichen Zustand beim Teilen von Informationen der Polizeibehörden.

Der Polizeiliche Informations- und Analyseverbund (PIAV)

Beide Probleme – das Teilen von Informationen zwischen den Ländern und die Versorgung der „Bundesdatentöpfe“ für die Meldedienste – sollte ein neues Projekt von Bund und Ländern lösen: Der Polizeiliche Informations- und Analyseverbund (PIAV). Seit 2007 wurden enorme Personal- und Finanzmittel in dieses Vorhaben gesteckt [5]. Man kann den Eindruck haben, dass partout demonstriert werden sollte, wie sehr sich der Bund darum bemühte, die Länder bei der Entwicklung mit einzubeziehen. Dass die Länder – in Zeiten der Schuldenbremse – gar nicht über die notwendigen technischen Kompetenzen unter ihren Mitarbeitern verfügten, war allen bekannt. Man tat trotzdem so, als könne man die Planung, Entwicklung und Einführung eines IT-Großprojekt für 16 Länder- und 2 Bundesbehörden „managen“, indem Polizeibeamte ohne IT-Vorkenntnisse im Rahmen von „Zugleich-Aufgaben“ neben ihrem Hauptamt über Jahre hinweg in diverse Bund-Länder-Projektgruppen delegiert werden, um dort IT-technische Entscheidungen zu treffen [6].

Neun Jahre nach Projektstart ging dann im Mai 2016 endlich eine erste Wirkbetriebsstufe des PIAV in Betrieb. Da hatte das Projekt bereits eine Verzögerung von gut zwei Jahren. Nicht zuletzt deshalb, weil sich der Bund zuvor über die Deutsche Telekom / T-Systems den Marktführer für Fallbearbeitungssysteme einverleibt hatte: Die Firma Rola Security Solutions. Und der Käufer damit zum Eigentümer der Nutzungs- und Verwertungsrechte und des Quellcodes dieser Software geworden war. Der Bund kann damit bestimmen, wie die Software funktional und unter Sicherheitsaspekten weiter entwickelt wird, was die Länderbehörden später zu bezahlen haben für die Nutzung dieser Software, für deren Anpassung an behördeneigene Organisationsstrukturen und Anforderungen und für die Weiterentwicklung und Pflege dieser Software.

Funktional soll die Wirkbetriebsstufe 1 das Meldesystem sein für Waffen- und Sprengstoffdelikte, das sind rund 0,5% aller Straftaten in Deutschland. Die nächste von insgesamt sieben weiteren Einführungsstufen wurde schon wieder verschoben auf nunmehr den 01.02.2018 [7]. Insider sagen allerdings, dass der PIAV faktisch schon heute gescheitert ist. Mindestens 62 Millionen wurden bisher für dieses Projekt aufgewendet, wobei die Kosten der meisten Länder noch gar nicht eingerechnet sind. [8]

Kreative Finanzierungsvarianten und Vertragsformen als Folge der Schuldenbremse

Anschaffungen für den operativen Polizeidienst und solche für polizeiliche IT-Systeme stehen seit Jahren in scharfer Konkurrenz um die beschränkten Investitionsmittel. Es geht, jedes Haushaltsjahr neu, um die Frage welches der notwendigen bzw. gewünschten polizeilichen Ausrüstungsgegenstände Finanzmittel aus dem Landeshaushalt erhält und welches Projekt in die Röhre schaut. Findige Köpfe in den Polizeiabteilungen und Beschaffungsämtern haben sich daher kreative Finanzierungsvarianten einfallen lassen, um Investitionen mit Auswirkungen auf die Schuldenbremse tunlichst zu vermeiden:

Dienstverträge statt Werkverträge für die „Beschaffung“ von IT-Systemen

Dienstverträge statt Werkverträgen abzuschließen, ist heute der Standard in deutschen Polizeibehörden [9]. Wer ein IT-System braucht, kauft sich nicht etwa eines: Das wäre „auf einen Schlag“ zu teuer. Man erteilt vielmehr Dienstverträge. Zur „Unterstützung“, „Projektierung“, „Planung“ u.v.m., der Phantasie sind da kaum Grenzen gesetzt. Was zur Folge hat, dass die Kosten in Form von Manntage fremder „Berater“ in Rechnung gestellt und auf Haushaltsperioden verteilt werden können. Die negative Folge dieses Schachzugs besteht darin, dass technische Leistungsvorgaben, sogenannte Spezifikationen, völlig aus der Mode gekommen sind, dass weder Projektziele, noch Meilensteine für Teilleistungen und damit verbundene Termine verbindlich festgelegt sind und die Projekte über Jahre vor sich hindümpeln, ohne dass ein Ende abzusehen wäre.

Behörden-„Kooperationen“ entwickeln im eigenen Haus – das Modell IPCC

Die Bundesländer Hamburg und Hessen, sowie Baden-Württemberg und Brandenburg, sind auf eine weitere, kreative Idee verfallen. Sie haben sich – seit 2003 schon – zum Inpol-Polas Competence Center (IPCC) zusammengeschlossen. Das ist ein rechtsformfreier Verbund, dessen „Geschäftsführung“ lange Zeit im hessischen Innenministerium angesiedelt war. Als es dem hessischen Landesrechnungshof und dem Innenausschuss zu bunt wurde mit den Dauerverstößen gegen das Vergaberecht [10], wurde nicht etwa die Praxis geändert: Nein, man siedelte die Geschäftsführung des ganzen Konstrukts um zur Polizei Hamburg und werkelt dort bis heute genauso weiter, wie zuvor in Hessen [11].

Das Finanzierungskonzept des IPCC besteht darin, dass man – angeblich – dem Vergaberecht nicht unterliegt, weil man sich zu einer vergaberechtsfreien „Inhouse-Kooperation“ zusammengeschlossen hat [12]. Daher werden die Service- und Entwicklungsleistungen für große IT-Projekte, wie das von den genannten Ländern eingesetzte Vorgangsbearbeitungssystem ComVor oder das Fallbearbeitungssystem CRIME, jetzt in den IT-Abteilungen von Polizeibehörden erbracht. Und wo man mit deren Kapazitäten und Kompetenzen an die Grenzen stößt, werden über einen behördeneigenen Dienstleister (aktuell: Dataport) vorwiegend Dienstverträge freihändig vergeben an Firmen, die zum Großteil schon seit Jahren für „das IPCC“ tätig sind [13].

Daneben bringt jedes Land eigene Personalleistungen in erheblichem Umfang ein, die im großen Budget der IT-Abteilung der Polizei untergebracht werden. Dass da in Wirklichkeit nicht für das eigene Land X gearbeitet wurde, sondern Beamte aus dem Land X im Kooperationsland Y Schulungen durchgeführt haben, wen interessiert das schon?! Und wenn Hamburg eine große IT-Abteilung unterhält, die u.U. für den Stadtstaat Hamburg etwas überdimensioniert ist, werden Kosten weitergegeben an die anderen Kooperationspartner und dann zwischen den beteiligten Ländern verrechnet und bezahlt. Ein Finanzierungsmodell, das sehr gut geeignet ist, um die Schuldenbremse zu unterlaufen. Ein Finanzierungsmodell, das andererseits den Nachteil hat, dass dabei nicht unbedingt Spitzenprodukte rauskommen:

Jüngstes Beispiel dafür liefert das Fallbearbeitungssystem CRIME, das von den o.g. Ländern eingesetzt wird – auch für das Teilen von Informationen mit anderen Polizeibehörden im Rahmen des PIAV. Dieses CRIME, seit Jahren mit auf Kante genähter Finanzierung weiterentwickelt und gepflegt, hat technisch, funktional und im Hinblick auf Datenschutz und Sicherheit seinen Zenit längst überschritten. „Aus Gründen der Gesichtswahrung“, so ein Insider, wird es noch bis 2018 „künstlich beatmet“. Denn dann kommt der Bund ja mit seinem ganz neuen, attraktiven Vorschlag …

Der Bundesinnenminister macht ein generöses Angebot: Das einheitliche Fallbearbeitungssystem (eFBS)

Dies war die Ausgangssituation, als der Bundesinnenminister und der saarländische Ministerpräsident und Vorsitzende der Innenministerkonferenz Ende November 2016 vor die Presse traten. Und mit viel Optimismus verkündeten, was schon am 11.10.2016 auf einer ‚Leaders Conference‘ in kleiner, informeller Runde beschlossen worden war:

Absichtserklärungen auf der Herbsttagung der Innenminister

  1. Die „grundlegende Modernisierung und Vereinheitlichung“ des Informationsmanagements der deutschen Polizei
  2. die Absicht zur „Einführung eines einheitlichen Fallbearbeitungssystems (eFBS)“, welches der Bund den Ländern „kostenneutral“ zur Verfügung stellt
  3. „die Notwendigkeit, dass alle verfügbaren und relevanten Informationen in einem fachlichen und technischen Gesamtsystem in einer Gesamtarchitektur für die Polizei der Länder und im Bund nutzbar sind.“
  4. Seitdem lehnt man sich in den Innenministerien der Länder entspannt zurück

    Nach der Ankündigung von De Maizière kann man sich in den Polizeiabteilungen der Innenministerien der Länder entspannt zurücklehnen: Denn jetzt hat der Bund angeboten, ein einheitliches Fallbearbeitungssystem (eFBS) zu entwickeln und zur Verfügung zu stellen: „Prima!“ sagt da der IT-Verantwortliche aus dem Innenministerium jedes einzelnen Landes: „Dann soll der Bund mal machen!“ Und stellt – garantiert – jegliche eigene Bemühung ein, das Problem des Teilens von Information mit anderen Polizeibehörden zeitnah zu lösen.

    Die Investitionen in den PIAV durch die Länder sind weitgehend in den Sand gesetzt und können abgeschrieben werden. [Was, nur am Rande bemerkt, verschmerzbar ist: Denn erhebliche Beträge hat die EU finanziert aus Mitteln des ISF-Fonds für Innere Sicherheit.]

    Die Umsetzung dieses Vorhabens wird erwartbar wieder Jahre dauern: De Maizière selbst sprach von 2020, andere Planungen gehen „mindestens“ von 2022 aus, bis etwas nutzbar ist. Doch wer in den Ländern hat schon großen Druck (und die Möglichkeiten), sich für Informationsaustausch mit anderen ins Zeug zu legen. Die schwarze Null im Haushalt muss hergestellt werden. Das ist es, was bis 2020 in den Ländern zählt!

    Ungeklärte Fragen

    Wesentliche Fragen sind bisher vollkommen ungeklärt. Dazu zählt:

    • Was wird es kosten, wenn der Bund den Ländern „sein“ einheitliches Fallbearbeitungssystem zur Verfügung stellt?
    • Was haben die Länder im Anschluss daran für die laufende Software-Pflege und Weiterentwicklung des Systems zu bezahlen? Denn bisher, sagen Insider, kostet die Jahrespauschale beim Marktführer und anzunehmenden Entwickler des einheitlichen Fallbearbeitungssystems, bis zu 20%.
    • Wer übernimmt und zu welchen Kosten die Migration der umfangreichen, vorhandenen Daten aus den bisher eingesetzten landeseigenen IT-Systemen in das neue „einheitliche Fallbearbeitungssystem“?
    • Oder läuft nicht alles wieder einmal darauf hinaus, dass damit eine weitere Insel geschaffen wird und zur bisherigen Mehrfach-Erfassung und -Abfrage nur noch ein weiteres System dazu kommt?

    Der bisherige desaströse Verlauf des PIAV und das nun vorliegende „generöse“ Angebot des Bundesinnenministers, gepaart mit dem zunehmenden Druck durch die Schuldenbremse (ab 2020 dürfen die Länder keine Kredite mehr aufnehmen), könnte davon ablenken, dass Bundesfinanzminister Schäuble und sein Nachfolger und Parteikollege De Maizière einen größeren Plan verfolgen: Nämlich den Umbau der „Sicherheitsarchitektur“ der Bundesrepublik Deutschland mit dem Ziel der Zentralisierung von Polizei und Verfassungsschutz unter dem Dach des Bundes. Dazu passt, was gestern schon zu lesen war: De Maizière fordere nämlich eine stärkere Zentralisierung der Länderpolizeibehörden unter den Fittichen des Bundes. Den „starken Staat in schwierigen Zeiten“, wie er ihn sich vorstellt.

Quellen

[1]   Staatsstreich auf leisen Sohlen – Teil 1, 03.01.2017, CIVES
http://cives.de/staatsstreich-auf-leisen-sohlen-teil-1-4054

[2]   Organigramm des Bundeskriminalamtes, heruntergeladen am 13.01.2017 von der Webseite des Bundeskriminalamt, siehe dort ganz links die Abteilung ST
https://www.bka.de/SharedDocs/Downloads/DE/DasBKA/Organisation_Aufbau/organigramm_neu.pdf?__blob=publicationFile&v=5

[3]   ’INPOL-Fall erhält Schnittstellen‘ in ‚Weit besser als sein Ruf: Inpol-Fall, der Vorläufer des PIAV‘, 01.10.2013, POLICE-IT
https://police-it.net/weit-besser-als-sein-ruf-inpol-fall-der-vorlaeufer-des-piav

[4]   Fakten zum Informationsaustausch der Polizeien in Deutschland: Die aktuelle Situation ist ein Desaster
19.06.2016, POLICE-IT
https://police-it.net/die-aktuelle-situation-ist-ein-desaster

[5]   Wie verlief die bisherige Entwicklung des PIAV?, POLICE-IT
https://police-it.net/themenseiten_piav_uebersicht/wie-verlief-die-bisherige-entwicklung-des-piav

[6]   IT-Verbundprojekte der Polizei: Zugleich-Aufgaben sind Ursache für späteres Scheitern, 22.10.2013, POLICE-IT
https://police-it.net/it-verbundprojekte-der-polizei-haende-hoch-hilft-nicht-weiter

[7]   Trotz geplanter Modernisierung und Vereinheitlichung: Das BMI hält weiterhin am PIAV fest, 9.12.2016, POLICE-IT
https://police-it.net/piav-gescheitert-innenminister-neue-alte-visionen

[8]   Was kostet der PIAV?, POLICE-IT
https://police-it.net/themenseiten_piav_uebersicht/was-kostet-der-piav

[9]   Polizei & IT: Werkverträge gibt’s so gut wie nie, 12.06.2014. POLICE-IT
https://police-it.net/polizei-it-werkvertraege-gibts-so-gut-wie-nie

[10]   Inpol Polas Competence Center: SW-Haus im Innenministerium, 13.02.2014, POLICE-IT
https://police-it.net/inpol-polas-competence-center-sw-haus-im-innenministerium

[11]   Inpol Polas Competence Center zieht um nach Hamburg, 07.03.2014, POLICE-IT
https://police-it.net/inpol-polas-competence-center-zieht-um-nach-hamburg

[12]   Inpol Polas Competence Center: Kooperationen, Kosten und Konsorten, 05.03.2015, POLICE-IT
https://police-it.net/inpol-polas-competence-center-kooperationen-kosten-und-konsorten

[13]   Dataport beschafft für das Inpol Polas Competence Center, 14.03.2014, POLICE-IT
https://police-it.net/dataport-beschafft-fuer-das-inpol-polas-competence-center

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