Was Politiker fordern und was Polizeipräsidenten tatsächlich bewegt

Am 21. und 22. Februar 2017 fand in Berlin der 20. Europäische Polizeikongress statt. Er besteht aus Kongressprogramm, Forumsveranstaltungen zu fachspezifischen Themen und einer begleitenden Ausstellung von Anbietern von Produkten und Dienstleistungen. Die Veranstaltung ist nicht publikums-öffentlich, sondern steht nur Besuchern aus einschlägigen Sicherheitsbehörden, Mitarbeitern von Anbieterfirmen und akkreditierten Pressevertretern offen. Der Bundesinnenminister und BfV-Präsident Maaßen nutzten den Kongress, um Werbung zu machen für ihre Erfolge und weiteren Forderungen nach dem „Umbau der Sicherheitsarchitektur“. Polizeipräsidenten – von Wien bis Amsterdam und aus deutschen Großstädten – berichteten, was ihre Behörden in der Praxis zu leisten haben und was für sie aktuell, relevant und wichtig ist. Da werden Unterschiede zwischen Theorie und Praxis deutlich, die aufhorchen lassen … | Lesedauer: Ca. 7 Minuten

Politmatadore als Zugpferde

Der Veranstalter hat jeweils zu Beginn des Tages die beiden Politmatadore für Innere Sicherheit – Bundesinnenminister De Maizière und den Präsidenten des BfV Maaßen – als Zugpferde aufgeboten, wie schon in den Jahren zuvor. Mag sein, dass dies notwendig ist, um die enge inhaltliche Verbindung zwischen Veranstalter und Regierungspolitik unter Beweis zu stellen. Wirklich Neues hatten die beiden Herren nicht zu sagen, sondern nutzten die Gelegenheit, ihre bisherigen ‚Erfolge‘ zu verkaufen und weitere Forderungen zu stellen.

Unverhältnismäßige Gefahrendarstellung durch De Maizière

Für Bundesinnenminister De Maizière scheint es nur noch Flüchtlinge bzw. Gefährder und deren Abschiebung bzw. Abwehr oder Überwachung zu geben. Es entsteht – gefühlt – ein Bild, wenn man ihm zuhört, das nicht mehr verhältnisgemäß ist. In diesem Land sterben wesentlich mehr Leute an der Feinstaubbelastung durch Dieselfahrzeuge, gegen die die Regierung zu wenig tut, als durch terroristische Anschläge. De Maizière nützt die aktuelle Situation aus, um Maßnahmen durchzusetzen – auch auf europäischer Ebene [a], die auch die Rechte jedes einzelnen berühren: Erwähnt sei hier nur das Ein-/Ausreiseregister, das jegliche Ein-/Ausreisen staatlicherseits protokollieren soll.

Wem gehören „meine Daten“?
Vor drei Tagen ließ der Minister wieder mal aufmerken mit der Bemerkung, er halte die „Losung“ ‚meine Daten gehören mir‘ für falsch. Für den Fall, dass er sich durchsetzen sollte mit dieser Haltung: Wem gehören dann „meine Daten“, z.B. die meiner Ein- und Ausreisen? Ist der Besitzer [?] oder Eigentümer [?] dann die Instanz, die die Datenbank aufbaut und hostet? Ziehen der Innenminister und die Kanzlerin hier an einem Strang: Denn Merkel hat in den letzten Monaten mehrfach den Datenschutz in Reden eingeschränkt und Daten als Ware bezeichnet? Denken De Maizière und Merkel daran, staatlich erhobene Daten der Bürger zur Ware zu machen? Nähern sie sich damit der Vision vom digitalen Tsunami, den Schäuble als Vorgänger von De Maizière im Amt schon vor zehn Jahren vertreten hat?! [b]

Maaßen malt in grau und schwarz und fordert noch mehr Befugnisse und Ressourcen

Auch BfV-Präsident Maaßen malte mit grau und schwarz. Die aktuelle Situation sei die „Dauerlage“, eine verschärfte Sicherheitssituation, geprägt von „Mehrdimensionalität“ von Risiken im Vergleich zur „guten alten Zeit“ nach den Anschlägen vom 11. September 2001. Es folgte die Auflistung der Belastungen, denen sein Amt ausgesetzt ist: Fünf terroristische Anschläge im Jahr 2016 in der Bundesrepublik Deutschland, Angriffe im „Cyberraum, der Angriff auf die IT des Bundestages im Jahr 2015, Desinformationskampagnen, mögliche Angriffe auf kritische Infrastrukturen, Industrie 4.0 und die dadurch gewachsene Vulnerabilität, gestiegene Anzahl von Hinweisen aus der Bevölkerung und die Notwendigkeit des Informationsaustauschs mit Behörden im Ausland und im Inland.

Logisch, dass es Maaßen nicht versäumte zu unterstreichen, wie wichtig und dringend die zügige Umsetzung der Leitlinien für einen starken Staat in schwierigen Zeiten ist. De Maizière hatte sie am 3. Januar 2017 in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung ausgerufen [2]. Maaßen’s Behörde würde davon direkt profitieren, weil in dem dort propagierten „Umbau der Sicherheitsarchitektur“ auch gefordert wird, die Landesämter für Verfassungsschutz dem von Maaßen geführten Bundesamt zu unterstellen. Sein Vortrag endete, wenig überraschend, mit der Forderung nach noch mehr Befugnissen (im Sinne der ‚Leitlinien‘) und noch mehr Ressourcen.

Keine Aussagen zu den vorhandenen Risiken für kritische und sonstige Infrastrukturen

Offen blieb die – bei mir jedenfalls – sich aufdrängende Frage, wieviel mehr Befugnisse und Ressourcen die vom Bund verantworteten Sicherheitsbehörden eigentlich noch brauchen, um tatsächlich wirksam einen „Cyberangriff“ auf die IT des Bundestages zu verhindern, oder um das Projekt „Netze des Bundes“ endlich zu einem funktionsfähigen Wirkbetrieb zu führen und viele Fragen mehr.

Interessant ist zum Beispiel die Frage nach einem flächendeckend verfügbaren Digitalfunk für Behörden und Einrichtungen mit Sicherheitsaufgaben. Oder ein Konzept zum Schutz kritischer Infrastrukturen, das mehr ist als beschriebenes Papier. Was passiert zum Beispiel nach einem größeren, längeren Stromausfall, ggf. in Folge eines Atomunfalls in einem der Risiko-Atomkraftwerke jenseits des Rheins? Fachleute sagen, dass aufgrund der Zwangsumstellung auf Voice over IP, die die Telekom derzeit durchpeitscht, die relativ sicheren Festnetzanschlüsse bald nicht mehr existieren und Mobiltelefone kein Ersatz sind: Denn die Stromversorgung von Mobilfunkmasten und sonstiger Mobilfunk-Infrastruktur ist nicht auf den Notfall ausgelegt. Auch das sind Risiken, für die es derzeit von Seiten des zuständigen BMI und seiner Unterbehörden keine Lösungen gibt. Während gleichzeitig ein unverhältnismäßiges Risikoszenario aufgebaut wird, in dem Flüchtlingen, Gefährdern und Terroristen und Angriffen aus dem „Cyberraum“ die Hauptrolle zugewiesen wird.

Gemeinsam.Sicher

General Karl Maher, Polizeipräsident für den Großraum Wien, brachte einen ganz anderen Ton in die Debatte um Sicherheitsgefühl der Bevölkerung und Innere Sicherheit. Vor vierzig Jahren habe Polizeiarbeit aus Repression bestanden, vor zwanzig Jahren aus „Prävention frontal“. Heute bestimme in Österreich das Konzept ‚Gemeinsam.Sicher‘ das Miteinander von Polizei und Gesellschaft.

Man ging aus von der Frage, was eigentlich den Erfolg der polizeilichen Arbeit definiert. Kam darauf, dass nicht allein die polizieliche Kriminalstatistik die Messgrößen liefert, sondern auch das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung. Das sei beeinflusst von Sorgen um den Arbeitsplatz, Sorgen um die Bildung (der Kinder), die Gesundheitsversorgung, die soziale Sicherheit und durch wahrgenommene ‚Angsträume“, in denen Sachbeschädigungen, mangelnde Beleuchtung, oder fehlende Sauberkeit und Ordnung das Wohlgefühl beeinträchtigen. Ganz am Schluss dieser Sorgen-Skala steht die Angst vor dem oder den Fremden. Um Sicherheit zu schaffen, ist also viel mehr notwendig, als Kriminalitätsbekämpfung. Diese Erkenntnisse waren Grundlage für das Konzept ‚Gemeinsam.Sicher‘ in Österreich. Sehen Sie sich das kurze Video an, das auf der Seite der Initiative ‚Gemeinsam.Sicher‘ angeboten wird. Es lohnt sich!

Für die Umsetzung der Initiative hat die Polizei in Wien rund 100 Beamte als Sicherheitskoordinatoren ausgebildet (von 6.500 insgesamt). Deren Aufgabe ist es, sich Zeit zu nehmen, auf Menschen zuzugehen, Informationen zu geben und gemeinsam (mit freiwilligen ‚Sicherheitspartnern‘ aus der Bevölkerung) nach Lösungen zu suchen. Erfolg werde seither in der Polizei in Österreich nicht mehr allein bestimmt durch die Polizeiliche Kriminalstatistik, sondern auch durch regelmäßige Befragungen der Bevölkerung nach deren Sicherheitsgefühl. Die PKS-Fallzahlen – übrigens – haben seit Einführung der Initiative deutlich abgenommen.

Community Policing

Amsterdam: Integrierte Polizeiarbeit mit Priorität für die ‚Verletzlichen‘

Auch Pieter-Jaap Aalbersberg, der Polizeipräsident von Amsterdam, stimmte eine ganz andere Tonlage an, als die deutschen Bundessicherheitspolitiker. Erfrischend seine Bemerkung zu Beginn: Vor dem Kongressgebäude stand während der Veranstaltung ein Wasserwerfer-Ungetüm, beschriftet in großen Lettern mit dem Wort „Survivor“ [um der Besatzung Mut zu machen?!]. Aalbersberg habe sich erschrocken gefragt, ob er wohl auf der richtigen Veranstaltung sei …

Polizeiarbeit in Amsterdam geschieht, wie in Wien, zusammen mit allen Bürgern. Die Polizei sieht sich zwischen Straße und Staat. Amsterdam verfolgt einen Ansatz, der alle relevanten Behörden integriert (Drogen, Prostitution, Gesundheit, Soziales, …) mit einer Priorität für die Verletzlichen (vulnerables). Die Akzeptanz der gegebenen gesellschaftlichen Diversität ist wichtig. Etwas mehr als 50% der Bevölkerung Amsterdams sind von „nicht-westlicher, nicht-niederländischer“ Abstammung. Durch entsprechende Einstellungs- und Ausbildungspolitik versucht man, die gemischte Zusammensetzung der Bevölkerung auch in der Polizei von Amsterdam abzubilden.

Köln nach Silvester 2015: Konsequentes Einschreiten nach Zerrüttung des Sicherheitsgefühls

Der Kölner Polizeipräsident Jürgen Mathies, erst kurz nach den Ereignissen von Silvester 2015 ins Amt gekommen, schilderte die desaströse Situation nach den Ereignissen aus der Silvesternacht. Das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung sei zerrüttet gewesen, ein Konzept zur raschen Verbesserung dieser Situation also notwendig. Eckpunkte der Ad-Hoc-Maßnahmen waren daher: Steigerung der polizeilichen Präsenz, Erhöhung der Ansprechbarkeit, operative Aufgabenwahrnehmung und ein täter-orientierter Ermittlungsansatz. Vor allem aber konsequentes Einschreiten, um der Polizei wieder Respekt zu verschaffen. Erste Erfolge dieses Konzepts zeigten sich jetzt, ein Jahr später, in einer deutlichen Reduzierung der Fallzahlen für relevante Delikte. Das aktuelle Kölner Konzept in Kurzform lautet: Hi-Ha-Ho = Hinsehen, Handeln, Hilfe holen.

In Zeiten von Fake News: Die Polizei als verlässlicher Informationsgeber

Diesen Impuls setzte Hubertus Andrä, der Münchner Polizeipräsident. Zunächst räumte er auf mit der Mär davon, dass früher alles besser gewesen sei: 1997 wurden in München 900 Autos geklaut, 2016 waren es 150. 1997 gab es 2.100 Wohnungseinbrüche in München, 2016 nur noch 1.200.

Zugenommen habe, in erheblichem Umfang, die Frequenz der Informationen, die auf den einzelnen niedergeht. Soziale Medien sind eine Ursache dafür. Fahrlässige (oder vorsätzliche?) Falschnachrichten tragen zur Verschelchterung des individuellen Sicherheitsgefühls bei. Wenn, wie vor wenigen Tagen geschehen, die Zeitung mit den großen vier Buchstaben über sexuelle Übergriffe auf Frauen in der Frankfurter Fressgass „berichtet“, also falsche Informationen verbreitet: Dies wird mit einem billigen Entschuldigung eingeräumt, die entstandenen Stimmung bei den Leuten dagegen bleibt bestehen. Polizei müsse daher dort präsent sein, wo sich Leute informieren, also in den sozialen Medien. Und sich dort einen Ruf aufbauen als verläßlicher Informationsgeber. [NB: Für ihre Medienarbeit hat die Polizei München (gemeinsam mit den Kollegen aus Berlin) den ‚Goldenen Blogger 2016‘ verliehen bekommen [3].] Weiterer Schwerpunkt in München, wie auch in Amsterdam und Wien: Die Einbeziehung der sonstigen Behörden in der Landeshauptstadt.

Das generelle Konzept [das, nur am Rande bemerkt, Hubertus Andrä in personam bestens verkörpert]: „Cool bleiben – friedlich bleiben“. Ein Beispiel: Es wurde eine Absprache mit den Wirten der so genannten Feierbanane in München getroffen (die Feierbanane ist ein Straßenzug in der Münchner Innenstadt mit vielen Lokalen). Hausverbote in einem Lokal führen für den Betroffenen automatisch zum Betretungsverbot für alle. Einfache Maßnahme, die wirkt!

Und noch eines blieb hängen aus den Münchner Prinzipien: Trotz des erheblichen Bevölkerungszuwachses der bayerischen Landeshauptstadt unternimmt die Polizei alles, um die Bildung von Gettos zu verhindern, denn „Gettos sind die Grundlage für Parallelgesellschaften“.

Fußnoten

[a]   ‚Durchsetzung auf europäischer Ebene‘: Bemerkenswert in diesem Zusammenhang der Redebeitrag von Dimitris Avramopulos, dem EU-Kommissar für Migration, Innere Angelegenheit und Citizenship, der seinen „guten Freund Thomas“ als den Architekten des aktuellen Umbaus der Sicherheitsarchitektur in Europa bezeichnete.

[b]   ‚Digitaler Tsunami‘:
In Vergessenheit ist geraten, dass es die Regierung Merkel war und deren (damaliger) Innenminister Dr. Wolfgang Schäuble, die als maßgebliche, treibende Kraft ein Konzept der Inneren Sicherheit in der Europäischen Union erdacht und vorangetrieben haben, das geplant und beschrieben hat, was die Nachrichtendienste der Vereinigten Staaten heute mit der Abschöpfung von Daten von Google, Microsoft, Facebook & Co und der nahezu unbegrenzten Überwachung des Internet praktizieren.

Nach Europäischer Lesart liest sich dies, wie folgt:

„Jedes Objekt, das ein Mensch benutzt, jede Transaktion, die er macht und beinahe jeder Geschäftsgang oder jede Reise, die er unternimmt, erzeugt einen detaillierten digitalen Datensatz. Dies generiert einen wahren Schatz an Information für öffentliche Sicherheitsorganisationen und eröffnet gigantische Möglichkeiten zur Steigerung der Effektivität und Produktivität der öffentlichen Sicherheit.“

Dieser Satz stammt aus einem offiziellen Dokument des Rats der Europäischen Union, das von der Zukunftsgruppe vorgelegt wurde. Dr. Wolfgang Schäuble, der damalige Bundesinnenminister im Kabinett Merkel I, gilt als der Vater dieser klandestinen Gruppe.

Quellen

[1]   De Maizière hält Lösung „Meine Daten gehören mir“ für falsch, 18.02.2017, Heise Newsticker
https://www.heise.de/newsticker/meldung/De-Maiziere-haelt-Losung-Meine-Daten-gehoeren-mir-fuer-falsch-3630322.html

[2]   zu den ‚Leitlinien …‘: Anmerkungen zur den Leitlinien des Bundesinnenministers für einen starken Staat in schwierigen Zeiten
Staatsstreich auf leisen Sohlen – Teil 1, 03.01.2017, CIVES
http://cives.de/staatsstreich-auf-leisen-sohlen-teil-1-4054

[3]   ’Goldene Blogger 2016 für die Twitter-Teams der Polizei München und Berlin‘ in ‚Twicker 01-2017, 31.01.2017, Police-IT
https://police-it.net/twicker-2017-01

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2 Gedanken zu „Was Politiker fordern und was Polizeipräsidenten tatsächlich bewegt“

  1. Danke für diese gute Zusammenstellung. Was mir ein wenig fehlt, ist die Auswirkung der Handlungen der Staatsgewalt auf die Einzelnen, besonders wenn es sich um Unrecht handelt das ja meist erst im Nachhinein festgestellt werden kann. Oder sind wir von diesem Grundrecht auch schon weit entfernt? Denn gefuehlt wird nicht ferngehaltenn jede Not…

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