Großaufträge für Bodycams aus Baden-Württemberg und NRW

Bodycams, am Körper getragene Video- und Audio-Aufzeichnungsgeräte werden für Polizeibeamte zum Standardwerkzeug. Nachdem Baden-Württemberg vor kurzem 1.350 Geräte geordert hat, freut sich der amerikanische Hersteller Axon wenige Tage später über eine noch viel größere Order aus Nordrhein-Westfalen. Innerhalb von vier Jahren könnten es dort bis zu 9.000 Geräte werden. Axon, die frühere Firma Taser, ist auch Hersteller der gleichnamigen Elektroschockpistolen. Wir haben mal einen Blick auf die jüngste Veröffentlichung der Firma über ihr zukünftiges Geschäftsmodell geworfen … | Lesedauer: Ca. 7 Minuten

Das Knallen der Sektkorken muss bis weit auf die Straße zu hören gewesen sein: Denn bei Axon Germany, vielen noch besser bekannt unter dem alten Firmennamen Taser, gab es dieser Tage gleich zweimal Grund zum Feiern: Erst der Auftrag der Polizei Baden-Württemberg, die 1.350 Bodycams von Axon geordert hat [1]. Und kurz darauf dann der Auftrag aus Nordrhein-Westfalen über eine Rahmenvereinbarung, die – geschätzt vom Auftraggeber – zur Lieferung von 9.000 Bodycams und ca. 1.500 Docking Stations im Zeitraum von vier Jahren für die Polizei des Landes führen kann [2]. Für Axon/Taser sind die Aufträge Beweis dafür, dass sich es sich eben doch lohnt, jahrelang Verluste in der deutschen Tochtergesellschaft anzusammeln, dennoch auf dem Europäischen Polizeikongress als Gold Sponsor aufzutreten, wenn man mit solchem Einsatz schlussendlich wichtige Bundesländer als Kunden für die eigenen Produkte gewinnen kann.

Und hier in Deutschland ist ja Bedarf: „Mehr Innere Sicherheit“ hat derzeit jede Partei im Angebot. Hier ist auch genug Geld in den öffentlichen Kassen. Und hier gibt es medial bzw. politisch einflussreiche Lobbyisten, da fällt dem Beobachter im Falle Taser/Axon insbesondere die Deutsche Polizeigewerkschaft (DPolG) ein, die ja seit Jahren sehr aktiv und laut die Beschaffung von „Tasern“ [3] und Bodycams fordert, weil damit angeblich die Arbeitsbedingungen ihrer Mitglieder dramatisch verbessert werden. Ob die Gewerkschaft bzw. ihre marketing-starken Funktionäre damit noch andere Zwecke verfolgt bzw. erreicht haben, wurde in der Vergangenheit schon wiederholt thematisiert, jedoch nie konkret untermauert.

Bodycams, also Kameras am Körper des Beamten wirken abschreckend auf Angreifer, sagen die Befürworter. Sie deeskalieren damit allein aufgrund ihrer sichtbaren Existenz und potenziellen Funktionalität. Denn der Beamte kann sie jederzeit aktivieren, ja sogar rückwirkend in Ganz setzen, um schon die Vorgeschichte / Entwicklung eines Geschehens aufzunehmen, das sich für ihn erst später als relevant herausstellt. Allein dieses Risiko des „Beweises“ schrecke schon ab und trage damit zur Deeskalation einer Szene und weniger Gewalt gegen Polizeibeamte bei.

Solche Argumente machen die Zustimmung zur Beschaffung auch für die Politiker in den Innen- und Haushaltsausschüssen zu einem No-Brainer. Zumal es hier ja eigentlich, zumindest hinsichtlich der Kosten um „Peanuts“ geht – ein paar Millionen Euro pro Beschaffungsprojekt und das noch gestreckt über mehrere Jahre. Das ist ein Nullum an Ausgaben, verglichen damit, was es kosten würde, mehr Personal für die Polizei einzustellen, die Frauen und Männer besser auszubilden, ihnen einsatzfähige Autos, überall kommunikationsfähige digitale Funkgeräte und zuverlässig funktionierende Informationstechnik am Arbeitsplatz zur Verfügung zu stellen- Um nur einige Baustellen zu nennen …

Was außerdem noch für die Beschaffung von Bodycams spricht, wusste vor einigen Wochen die Bild-Zeitung: Die ließ innerhalb von vier Tagen 2.034 Leute von einem Meinungsforschungsinstitut befragen. So ein Vorgehen liefert neuerdings ja immer „repräsentative“ Ergebnisse! Was zu so schönen Nachrichten verhilft, wie die „Mehrheit der Deutschen befürwortet den Einsatz von Körperkameras an Polizeiuniformen“. Und wer könnte bei dieser breiten und fachmännischen Zustimmung noch Nein sagen?

Rahmenverträge …

Was da genau eigentlich gekauft worden ist, das wissen wir – Sie und ich – natürlich nicht. Wir können uns nur stützen auf die Vergabebekanntmachungen [1, 2]. In denen, so ist das leider üblich, die beschaffenden Behörden möglichst WENIG Konkretes von dem preisgeben, was sie mit dem Auftragnehmer, hier also Axon, vertraglich vereinbart haben. Folglich steht also in beiden Bekanntmachungen NIX

  • von KAUF von Bodycams bzw. Dockingstations
  • Erwerb zugehöriger Softwarelizenzen
  • Installations- und Einführungsunterstützung
  • ggf. Schulungen für Administratoren und Endanwendern und
  • Wartung für die Hardware bzw. Pflege für die Software

Es steht da vielmehr, dass eine „Rahmenvereinbarung / ein Rahmenvertrag“ abgeschlossen worden ist. Die interessanten Einzelheiten dazu, wie Produktbezeichnungen, Quantitäten, Gesamtkosten, Laufzeiten etc. bleiben hinter der Schranke der Geheimhaltung verborgen.

Bodycam und Zubehör

Genaue Produktbezeichnungen gibt’s in den Vergabebekanntmachungen auch nicht. Da steht nur etwas von „Bodycams“, „Docking Stations“ „inklusive Zubehör“, „Softwarelizenzen“ und „weiteren Leistungen“. Das dürfte dem Vertragskonstrukt des „Rahmenvertrages“ geschuldet sein, in dem die Behörde und die Firma über bis zu vier Jahre zusammenarbeiten wollen. Weshalb man dort wohl nicht konkrete, heute aktuelle Produktbezeichnungen benennen möchte. man daher nicht konkrete Produktbezeichnungen benennen möchte. Nur aus einer Pressemitteilung der Firma Axon selbst vom 18.10. ist zu entnehmen, dass die Polizei in Baden-Württemberg 1.350 Bodycams vom Typ Axon Body 2 gekauft hat. Diese sollen ab Anfang des Jahres 2019 an insgesamt 20 Dienststellen ausgeliefert werden.

Bodycam Axon Body 2

Die Kamera wird an der Uniform befestigt. Sie erstellt digitale HD-Videoaufnahmen mit einer Kamera, die besonders für schlechte Lichtverhältnisse ausgelegt ist und kann auf zwei Kanälen Geräusche aufnehmen.

Quelle: https://de.axon.com/solutions/law-enforcement/in-the-field
Durch automatische Geräuschregelung und Rauschreduzierung werden Stimmen besser unterscheidbar, sagt der Hersteller.

Arbeitsweise der Axon Body 2

Nach dem Einschalten befindet sich das Gerät im Puffermodus, zu erkennen an einer blinkenden grünen Led an der Oberseite des Geräts. In diesem Modus wird in einer Art Endlosschleife eine Videoaufzeichnung von ca. 2 Minuten erzeugt und anschließend wieder überschrieben. So gepufferte Videos werden nicht auf den permanenten Speicher übertragen. Und es wird in diesem Modus auch keine Audioaufnahme angefertigt.

Erst wenn der Polizeibeamte die große Taste vorne am Gerät zweimal drückt, wird der sogenannte Event-Modus gestartet.

Dann startet die Videoaufnahme und Audioaufnahme, die beide permanent gespeichert werden. Im Aufnahmemodus blinkt eine rote Led oben am Gerät, außerdem ertönt alle zwei Minuten ein Piepston. Ferner kann, abhängig von der individuellen Einstellung der Kamera, der letzte Inhalt des temporären Pufferspeichers, also die letzten ca. zwei Minuten VOR dem Einschalten des Event-Modus ebenfalls noch mit in den Permanentspeicher übertragen werden. Die Szene direkt vor dem Aktivieren wird damit also auch noch dauerhaft gespeichert.

Laut Datenblatt des Herstellers [6] hat die Kamera eine dreifach einstellbare Videoauflösung (480 / 720 / 1.080P) und speichert im MPEG4-Format auf einen internen Speicher von 64GB. Die Aufnahmekapazität soll ca. 70 Stunden betragen, der interne Akku eine Betriebszeit von mehr als 12 Stunden ermöglichen. Daten von der Kamera können via WLAN oder Bluetooth auf andere Systeme übertragen werden.

Datenverwaltung und -Archivierung

Für die Verwaltung der Aufnahmen und deren Archivierung bietet der Hersteller zwei Optionen an: Eine Cloud-basierte Lösung namens Evidence.com,

sowie eine serverbasierte Lösung namens Axon Commander [7], bei der die Daten im Verfügungsbereich der Behörde verbleiben. Diese Lösung unterstützt auch verteilte Services und Datenhaltung, wie sie in einer deutschen Landespolizeibehörde und ihren untergeordneten Polizeipräsidien und anderen Dienststellen gegeben ist.

Wer ist die Firma Axon – früher Taser?

Für Axon Public Safety Germany SE handelt es sich bei dem Auftrag aus Baden-Württemberg um den ersten größeren Auftrag für Bodycameras in Deutschland [in 5]. Und das nach einer bemerkenswert langen Vorlaufzeit: Denn die deutschen Niederlassung wurde im Dezember 2009 bereits in Deutschland errichtet [8], damals noch unter dem Firmennamen Taser International Europe SE.

Taser, das war über lange Zeit auch der Name der Muttergesellschaft aus den Vereinigten Staaten. Die Muttergesellschaft, bereits 1993 gegründet, wurde im April 2017 von Taser zu Axon Enterprise, Inc. umbenannt. Die Firmenzentrale ist in Scottsdale, Arizona, Niederlassungen gibt es außer in Deutschland noch im Vereinigten Königreich, den Niederlanden, Australien, Vietnam und Kanada [9].

Die Firma entwickelte und vertrieb anfangs ausschließlich Elektroschockwaffen mit denen Personen auf kurze Distanz vorübergehend bewegungsunfähig gemacht werden können. Dazu verschießt eine Art Pistole mit Widerhaken versehene Projektile, die sich ca. 1 cm tief in die Haut des Getroffenen bohren. Über feine Drahtfäden, die nach wie vor mit der Pistole verbunden sind, werden elektrische Impulse übertragen, die die sensorischen und motorischen Funktionen des peripheren Nervensystems tangieren und zur vorübergehenden Lähmung der Zielperson führen. Dieses neuartige Waffensystem erhielt im allgemeinen Sprachgebrauch die Produktbezeichnung „Taser“.

Sie wird von Strafverfolgungsbehörden eingesetzt, beim Militär, in Strafvollzugsanstalten und in der privaten Sicherheit. Die Technik ist hochumstritten, da es durch den Einsatz schon zu zahlreichen Todesfällen bei Zielpersonen gekommen ist. Erst am 23.10.2018 ist in Nürnberg ein randalierender 43-jähriger Mann verstorben, nachdem er mit einem solchen Taser beschossen worden und anschließend kollabiert ist [10].

Geschäftssegmente und Kundenbasis

Axon bezeichnet sich selbst als Marktführer in zwei Geschäftssegmenten:

  1. „Taser“ Elektroschockwaffen und
  2. Bodycameras, sowie dafür notwendige Datenverwaltungs- und Archivierungs-Software, letztere in jüngster Zeit, insbesondere auch basierend auf Cloud-Diensten.

Nach eigenen Angaben verfügt das Unternehmen über eine Kundenbasis von 20.000 öffentlichen Sicherheitseinrichtungen weltweit. In der für Amerika typischen Businesssprache ist im aktuellen Geschäftsjahresbericht auch das Ziel für die nächsten Jahre formuliert: „Jeder Mitarbeiter einer Sicherheitsbehörde weltweit soll einen „Taser“, sowie eine Axon Bodycam tragen und damit Teil des Axon Netzwerks werden.“

Welches Geschäftsmodell verfolgt die Firma Axon?

Relativ zeitgleich zu Entscheidungen über die Beschaffungsverfahren in Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen hat die amerikanische Axon bei der Börsenaufsicht SEC eine Bekanntmachung eingereicht [11], einen so genannten 8-K: Damit werden Investoren in börsengehandelte Unternehmen von besonderen Ereignissen oder Vorkommnissen informiert. Das war am 7.10.2018 und betraf das zukünftige Geschäfts- und Preismodell des Unternehmens. Der Schlüsselbegriff darin lautet „Officer Safety Plan„, übersetzt etwa „Beamten-Sicherheits-Plan“.

Er stellt die radikale Abkehr vom Einmal-Kauf- und Bezahlmodell dar und macht aus jedem Beamten einen Einnahmefaktor: Denn pro Monat ist demnach an Axon eine Gebühr dafür zu zahlen, dass jeder Beamte eine Taser-Waffe erhält und zwar einschließlich unbegrenzter „Munition“ = Cartridges. Dies soll pro Monat und Kopf 32 US-Dollar kosten für die Taser-Modelle X2 und X26P und zwischen 54 und 66 US-Dollar für das Modell Taser 7 nebst Docking-Station und Integration in das Cloud-basierten Managementsystem Evidence.com.

Ganz ähnlich sieht es für die Bodycams aus: Für das Modell Axon Body 2 mit Zubehör und Docking Station werden 26 US-Dollar pro Monat fällig und für das Modell Axon Body 3 zwischen 28 und 33 US-Dollar pro Monat.

Richtig viel Geld kosten dann die cloud-basierten Dienste pro Beamten und Monat und zwar je nach Ausstattung zwischen 51 US-Dollar und 135 Dollar.

Doch zurück zu den Vergabeentscheidungen aus Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen: Dass dort Rahmenverträge abgeschlossen wurden mit einer Laufzeit von bis zu vier Jahren und dass in beiden Fällen keinerlei Preisangaben gemacht wurden, könnte in die Richtung deuten, dass auch diese beiden deutschen Polizeibehörden sich mit Axon auf ein pro-Kopf gestütztes Miet- und Service-Modell verständigt haben. Was ja aus der Sicht einer deutschen Landesbehörde den zusätzlichen Vorteil aufweist, dass keine Gelder für Anschaffungen ausgegeben, geschweige denn finanziert werden müssen. Eine Anforderung, die dank der „Schuldenbremse“ immer wichtiger wird [http://www.bpb.de/nachschlagen/lexika/pocket-politik/145842/schuldenbremse]: Denn ab 2020 dürfen die Bundesländer überhaupt keine neuen Schulden mehr machen.

Quellen

[1]   Vergabebekanntmachung 2018 / S 191-431 489 vom 04.09.2018 des Präsidiums Technik, Logistik, Service der Polizei des Landes Baden-Württemberg über einen Rahmenvertrag über die Lieferung von Bodycams inklusive Zubehör und weiterer Leistungen an die Firma Axon Public Safety Germany SE

[2]   Vergabebekanntmachung 2018 / S 204-464609 vom 23.10.2018 des Landesamts für Zentrale Polizeiliche Dienste Nordrhein-Westfalen über eine Rahmenvereinbarung über die Lieferung von Bodycams mit Docking Stations und Softwarelizenzen für die Polizei NRW an die Firma Axon Public Safety Germany SE

[3]   Abschnitt ‚DPolG und Taser‘ in ‚BDK und DPolG – Polizei-Vertretung oder PR-Agenturen?‘, 16.05.2016, POLICE-IT
https://police-it.net/bdk-und-dpolg-polizei-vertretung-oder-pr-agenturen

[4]   Mehrheit für Body-Cams an Polizeiuniformen, 06.09.2018, Finanz-Nachrichten
https://www.finanznachrichten.de/nachrichten-2018-09/44707039-mehrheit-fuer-body-cams-an-polizeiuniformen-003.htm

[5]   Baden-Württemberg ist First German State to Fully Deploy Axon Body-Worn Cameras
http://investor.axon.com/news-releases/news-release-details/baden-wurttemberg-first-german-state-fully-deploy-axon-body-worn

[6]   https://de.axon.com/products/body-2

[7]    Axon Commander
https://de.axon.com/products/commander

[8]   Veröffentlichung des Ams Gerichts Frankfurt über die Neueintragung der Firma Taser Internatonal Europe SE vom 03.12.2009

[9]   Jahresabschlussbericht von Axon Enterprise Inc an die amerikanische Börsenaufsicht SEC über das Geschäftsjahr 2017 (10-K)

[10]   Randalierer stirbt nach Polizeieinsatz mit Taser, 23.10.2018, Nürnberger Nachrichten
http://www.nordbayern.de/region/nuernberg/nurnberg-randalierer-stirbt-nach-polizeieinsatz-mit-taser-1.8224290

[11]   8-K vom 07.10.2018 von Axon Enterprise Inc an die amerikanische Börsenaufsicht SEC mit Angaben über das zukünftige Preis- und Geschäftsmodell

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