Meinungsmache in Wahlkampfzeiten mit Hilfe der Polizeilichen Kriminalstatistik

Bayerns Innenminister Joachim Herrmann und Sachsens Innenminister Markus Ulbig
Quelle: http://www.stmi.bayern.de/assets/stmi/med/aktuell/161129kooperation1.jpg
Polizeiliche Kriminalstatistiken, das lernen wir in diesem Jahr zum zweiten Mal, eignen sich ganz hervorragend, wenn Innenminister im Wahlkampf stehen und die öffentliche Meinung manipulieren wollen. Vorreiter war der Bundesinnenminister, unterstützt von der Welt am Sonntag, wo aus tatsächlich 11% mehr tatverdächtigen NICHTDEUTSCHEN satte 53% mehr tatverdächtige FLÜCHTLINGE wurden. Der bayerische Innenminister griff dieser Tage zum gleichen Verfahren: Auch seine angeblichen „685 Vergewaltigungen“ erwiesen sich als sehr aufgeblähte Behauptung, die dem Wahlkämpfer nützen soll und die Opfer im Regen stehen lässt.

Natürlich manipulieren Innenminister keine Statistiken, Gott bewahre! Doch viel „Missverständnis“ lässt sich, selbstredend völlig unabsichtlich! damit erreichen, dass der Minister einen Begriff benutzt, der nach allgemeinem Sprachgebrauch vollkommen missverständnis-frei ist (wie z.B. „Zuwanderer“ oder „Vergewaltigung“), jedoch im speziellen Sprachgebrauch des Innenministers, der ja gleichzeitig auch Jurist ist, ganz anders definiert ist.

Die Steigerungen der ZUWANDERER – wie sich Zahlen leicht verfünffachen lassen

Ein erstes Exempel dieser Art lieferte im April der Bundesinnenminister. „Zahl der tatverdächtigen ZUWANDERER steigt um 52,7%“, titelte die Welt am Sonntag unter Berufung auf ein durchgestochenes Dokument, das zu diesem Zeitpunkt „exklusiv nur der Welt am Sonntag vorlag“ [1]. Diese Schlagzeile sorgte binnen Stunden für weite Verbreitung einer Meldung mit dem Tenor: „Mehr FLÜCHTLINGE begehen mehr Straftaten“. Und war somit Wasser auf die Mühlen von allen, die schon immer gewusst haben, dass Flüchtlinge verantwortlich dafür sind, dass aus Deutschland Sodom und Gomorrha wird.

Bayerns Innenminister Joachim Herrmann und Sachsens Innenminister Markus Ulbig
Quelle: http://www.stmi.bayern.de/assets/stmi/med/aktuell/161129kooperation1.jpg
Einen Tag später präsentierte Bundesinnenminister De Maizière dann gemeinsam mit seinem Amtskollegen Ulbig aus Sachsen eine in unüblicher Kurzfassung [2] vorgelegte Kriminalstatistik des BKA für das Jahr 2016. Darin war ein ebenfalls neues Kapitel aufgenommen über die „Auswirkungen der zunehmenden Anzahl der Zuwanderer auf die Kriminalität in Deutschland“ [a]. Der Tabelle unter dieser Überschrift waren hohe Steigerungsraten gegenüber 2015 zu entnehmen. Auch sie bezogen sich jedoch nur auf ZUWANDERER.

Erst nach intensiver Beschäftigung mit den Zahlen und Nachfragen beim BKA ergab sich dann, dass längst nicht alle Ausländer und auch nicht alle Flüchtlinge zu diesen ZUWANDERERN gehören. ZUWANDERER, wie sie das BKA versteht, sind vielmehr

  • Asylbewerber, deren Asylantrag noch nicht bearbeitet ist [b],
  • geduldete Personen,
  • Kontingent- und Bürgerkriegsflüchtlinge, sowie
  • sich unerlaubt aufhaltende Personen

Die Steigerungsrate ALLER nicht-deutschen Tatverdächtigen beträgt auch nicht 52,7%, sondern lediglich 10,9%, was allerdings in der Öffentlichkeit nicht mehr wahrgenommen wurde. Denn die Nachricht von den 52,7% war ja jetzt gesetzt und die öffentliche Meinung entsprechend beeinflusst.

Das sonst übliche Jahrbuch der Polizeilichen Kriminalstatistik erschien dann erst im Juli 2017 [3] und ohne weitere öffentliche Mitteilung. Es wurde also nur von denen gefunden, die gezielt danach suchen. Darin findet sich dann ein Kapitel über „Bewertungsprobleme“ zur Kriminalitätsbelastung durch nichtdeutsche Tatverdächtige [c]. Ein Vergleich der nichtdeutschen Wohnbevölkerung mit der deutschen sei schon wegen des Dunkelfeldes der nicht ermittelten Täter nicht möglich. Ferner enthalte Bevölkerungsstatistik bestimmte Ausländergruppen … nicht, die in der PKS als Tatverdächtige mitgezählt werden. Die Daten dürften daher nicht mit der tatsächlichen Kriminalitätsbelastung gleichgesetzt werde. Sie ließen auch keine vergleichende Bewertung der Kriminalitätsbelastung von Deutschen und Nichtdeutschen zu, u.a. weil auch demografische Einflüsse (wie die Wanderungen ins und aus dem Ausland, Einbürgerungen und die Jahrgangsstärken der jungen Menschen) eine Rolle spielten.
Das sind richtige Anmerkungen, die allerdings am hervorgerufenen Eindruck nichts mehr ändern. Wollen wackere Polizeibeamte hier ihren Berufsethos wieder herstellen, den die Durchstecherei an die Welt am Sonntag und der Minister mit seiner Instrumentalisierung der polizeilichen Kriminalstatistik für parteipolitische Interessen in ein schiefes Licht gerückt hatten?!

685 „Vergewaltigungen in Bayern“ behauptete der bayerische Innenminister zunächst, tatsächlich waren es 71

Wie gut so etwas funktioniert, muss die bayerische Staatsregierung inspiriert haben. Also stellte sich der Innenminister Herrmann in der vergangenen Woche vor die Presse und alarmierte mit der Meldung, dass „die Zahl der Vergewaltigungen in Bayern im ersten Halbjahr 2017 um fast 50% gestiegen“ sei, nämlich auf 685! Bei Taten, die „Zuwanderern“ [d] zugerechnet werden, sei die Zahl sogar um 91% gestiegen, auf insgesamt 126. Wieder einmal Wasser auf die Mühlen der AfD! [4]

Regierungschef Seehofer soll daraufhin auf Aktivitäten gedrängt haben. Zumal die Prognosen für die AfD stiegen und die CSU nichts gewinnen konnte aus dieser Alarmmeldung. Der Justizminister und Innenminister Herrmann mussten auf die Schnelle ein „7-Punkte-Programm zur Bekämpfung von Sexualstraftaten“ [5] aus dem Hut zaubern.
Bei dessen Vorstellung sich dann herausstellte, dass die ursprünglich genannten Angaben schlicht falsch waren. Denn bei den angeblich 685 VERGEWALTIGUNGEN handelte es sich um 71 „überfallartige Vergewaltigungen“. Der Rest waren sexuelle Nötigungen („Nein“ des Opfers reicht jetzt aus …). Im Vergleich sahen die Zahlen also so aus:

Behauptungen in der 1. Pressekonferenz Nach Richtigstellung in der 2. Pressekonferenz
Zahl der Vergewaltigungen 685 71
Steigerungsrate bei den Vergewaltigungen ~ 50% weniger als 5%

Die Zahl der tatsächlichen Vergewaltigungen in Bayern durch Zuwanderer lag im ersten Halbjahr 2017 bei 17. Ein erheblicher Anteil davon fand in Asylbewerberunterkünften statt und richtete sich gegen ausländische Frauen [e]. Ein Sachverhalt, der es dringend geboten sein lässt, auch über den besseren Schutz von Menschen in diesen Unterkünften vor sexuellen Gewalttaten nachzudenken oder sie geschützter unterzubringen. Herrmann fällt zynischer Weise dazu gar nichts ein. Dafür nutzt er auch diese Gelegenheit, wie für ihn üblich, um mehr Fahndungs- und Ermittlungsarbeit anzukündigen, mehr Videoüberwachung, konsequente Abschiebungen, weitere Änderungen am Strafprozess- und Strafrecht, sowie „konsequente und zügige“ Strafverfolgung.

Jede Beschäftigung mit dem Sachverhalt, dass dann ja wohl 71 – 17 = 54 „überfallartige Vergewaltigungen“ von deutschen Tatverdächtigen begangen worden sein müssen, vermisst man in dem 7-Punkte-Programm von Herrn Herrmann. Was im Ergebnis zu der Erkenntnis führt: Es geht hier nicht um den Schutz vor sexuellen Gewalttaten für Menschen jeden Alters und jeden Geschlechts. Sondern darum, auf zynische Weise mit dem Schicksal der Opfer Wahltaktik zu betreiben.

Fußnoten

[a]   Seite 73 des Dokuments [2]

[b]   Der Bundesinnenminister und das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) in seinem Geschäftsbereich sind verantwortlich für di elange Verfahrensdauer von Asylantragsverfahren.

[c]   “Bewertungsprobleme“ – das Kapitel findet sich ab Seite 119 des Dokuments

[d]   Unsere Presseanfrage, was man im bayerischen Innenministerium unter ZUWANDERERN versteht, wurde bisher nicht beantwortet.

[e]   Beratungsstelle soll Frauen und Kinder besser schützen, 24.08.2017, BR Nachrichten
http://www.br.de/nachrichten/schwaben/inhalt/gewaltschutz-projekt-augsburg-100.html

Quellen

[1]   Meinungsmache mit Hilfe der Polizeilichen Kriminalstatistik, 26.04.2017, POLICE-IT
https://police-it.net/meinungsmache-mit-hilfe-der-polizeilichen-kriminalstatistik

[2]   PKS 2016 – IMK-Bericht, 24.04.2017, Bundeskriminalamt
https://www.bka.de/SharedDocs/Downloads/DE/Publikationen/PolizeilicheKriminalstatistik/2016/pks2016ImkBericht.pdf?__blob=publicationFile&v=8

[3]   PKS 2016 – Jahrbuch Band 3, Tatverdächtige, 19.07.2017, Bundeskriminalamt
https://www.bka.de/SharedDocs/Downloads/DE/Publikationen/PolizeilicheKriminalstatistik/2016/pks2016Jahrbuch3TV.pdf?__blob=publicationFile&v=2

[4]   Herrmann muss Zahl der sexuellen Übergriffe konkretisieren, 20.09.2017, Süddeutsche Zeitung Online
http://www.sueddeutsche.de/bayern/zahlen-zu-sexuellen-uebergriffen-csu-um-schadensbegrenzung-nach-missgluecktem-wahlkampfmanoever-bemueht-1.3675051

[5]   7-Punke-Programme zur Bekämpfung von Sexualstraftaten, 20.09.2017, Bayerisches Staatsministerium des Inenrn, für Bau und Verkehr, heruntergeladen am 21.09.2017
http://www.stmi.bayern.de/med/pressemitteilungen/pressearchiv/2017/345a/index.php

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2 Gedanken zu „Meinungsmache in Wahlkampfzeiten mit Hilfe der Polizeilichen Kriminalstatistik“

  1. MAl davon abgesehen, dass es keinen Unterschied in der Verwerflichkeit gibt, ganz egal ob Bewohner in den Fluechtlingsunterkuenften oder ausserhalb sexueller Gewalt zum Opfer fallen, wird sehr schoen deutlich, auf welcher Basis – naemlich einer kaum existenten – des rechtsextremen Mobs ‚Empoerung‘ fusst.

    Es gibt diverse Videos, wo junge Maedchen ihr ‚Entsetzen‘ schildern, ob der grausamen Sexualaggression, die ihr wiederfahren sei. Ich zitiere aus einem:

    „Mit Deutschland geht es bergab. Ich gehe fast nie aus dem Hause, denn ich bin ein anstaendiges familienbewusstes Maedchen. (!!Dennoch bilde ich mir ein zu wissen, was in Deutschland los ist!!) Aber dieses eine mal bin ich Einkaufen gegangen und es war schon fast dunkel. Und dann waren da diese jungen auslaendischen Maenner, und ich sage euch… wie DIE mich angeglotzt haben.. ich habe richtig Angst bekommen.“

    Auf dieser Grundlage ging dann ein halbstuendiges Hetzen gegen Fluechtlinge und Leute mit nicht-weisser Hautfarbe los und die Idioten in den Kommentarbereichen haben sich der Hetze bereitwillig angeschlossen.

    Danke fuer den tollen Artikel, der zeigt, dass sich gerade ein nicht unerheblicher Teil der Politikdarsteller im Wahlkampf dem gemeinen Rechtsradikalen anbiedert.

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