Reine Schaufensterpolitik: De Maizière will „ran an die Datentöpfe“

„Ran an die Datentöpfe“ will er, der Bundesinnenminister. Und meint damit einen umfassenden Informationsaustausch mit den Sicherheitsbehörden anderer Länder in Europa.
Dabei kann es sich nur um Scheinargumente handeln oder um Meinungsmache. Denn der Minister weiß selbst am besten, dass Informationsaustausch selbst banalster Art noch nicht einmal zwischen den Polizeibehörden in Deutschland funktioniert …

Informationsaustausch zwischen Polizeibehörden in Deutschland – die aktuelle Situation

Dahinter steckt eine große Portion Chuzpe, bzw. die Annahme, dass man sowohl eine Moderatorin der ARD, als auch hunderttausende von Zuschauern mit Scheinargumenten hinhalten kann. Denn ausgerechnet Herr de Maizière ist der oberste Dienstherr von Behörden, die es seit Jahren (, um nicht zu sagen: Jahrzehnten) nicht auf die Reihe bekommen, die „Datentöpfe“ in den eigenen Polizeibehörden in die Lage zu versetzen, mit ihresgleichen Informationen auszutauschen.

Polizeiliche Arbeit nach terroristischen Anschlägen und die INPOL-Fall-Datenbank BAO-Lagefall

Ganz aktuell herrscht in Deutschland nach den Anschlägen von Brüssel eine erhöhte Sicherheitslage, im Polizeideutsch der sogenannte BAO-Lagefall. In einem solchen Fall wird beim Bundeskriminalamt ein „Datentopf“ eingerichtet. Das ist, etwas technischer gesagt, eine Datenbank mit dem System INPOL-Fall, die als Datensammelstelle für Hinweise und andere ermittlungsrelevante Informationen genutzt werden kann. Diese Datenbank ist ein so genanntes Verbundsystem, weil die Polizeibehörden des Bundes und der Länder sie gemeinsam im Verbund nutzen [2]. Auf Seiten des Bundes sind dies die Bundespolizei (Grenzsicherung, Flughäfen, Bahnhöfe!), sowie das Bundeskriminalamt, das gesetzlich die federführend zuständige Behörde ist für Gefahrenabwehr und Strafverfolgung im Bereich der Abwehr des internationalen Terrorismus. Die Datenbank BAO-Lagefall ist also eine anlassbezogene, zentrale Informationssammlung und Möglichkeit für die Abfrage relevanter Informationen. Leider läuft diese Datenbank bildlich gesprochen nur noch auf zwei Töpfen.

Die Daten“töpfe“ der Bundespolizeibehörden und das System B-CASE

Denn dem Bundesinnenministerium hat es gefallen, schon vor Jahren für die Zwecke der Bundessicherheitsbehörden (also BKA, Bundespolizei und Bundesamt für Verfassungsschutz) freihändig ein ganz anderes Fallbearbeitungssystem als INPOL-Fall zu beschaffen. Obwohl das BKA offiziell auch als der Entwickler des ‚Verbund-Fallbearbeitungssystems‘ INPOL-Fall bezeichnet wird. Dieses neu beschaffte System namens B-Case ist nicht kompatibel mit INPOL-Fall. Ein Informationsaustausch zwischen den beiden System ist also nicht so ohne weiteres möglich. Auch bei mehreren Ländern hat man – auch dort weitgehend freihändig – für die Fallbearbeitung ein System des gleichen Herstellers Rola beschafft. Was allerdings nicht zwangsläufig bedeutet, dass der Betreiber eines Rola-Systems in einem Bundesland A allein aus dem Grund schon Informationen austauschen kann mit einem Rola-Betreiber in einem Land B oder mit dem beim Bund eingesetzten Rola-System B-Case [2].

Die Bund-Länder-Datei-Schnittstelle – eine existierende, wenn auch nur selten genutzte Brücke zwischen unterschiedlichen polizeilichen Informationssystemen

Um dennoch die Grenzen von zueinander nicht kompatiblen Informationssystemen in den Polizeibehörden zu überwinden, hat das Bundeskriminalamt schon zur Fußballweltmeisterschaft 2006 eine Schnittstelle namens BLDS (Bund-Länder-Datei-Schnittstelle) entwickeln lassen. Die kann man sich vorstellen wie eine Brücke zur INPOL-Fall-Datenbank BAO-Lagefall und vielen anderen Verbund-„Datentöpfen“ auf der Basis von INPOL-Fall.

Die BLDS-Schnittstelle hat jedoch seit mehreren Jahren weder Konjunktur noch Fürsprecher. Was praktisch bedeutet: Es gibt sie zwar, sie wird aber nur noch in wenigen Fällen genutzt. Maßgeblich verantwortlich dafür, dass INPOL-Fall und die BLDS-Schnittstelle keine Zukunft haben, sind das Bundeskriminalamt (, das die INPOL-Fall entwickelt hatte und nach wie vor dafür verantwortlich ist) und die Bundesländer, die sich Rola-Systeme beschafft hatten. Es wurde in entsprechenden Konzeptpapieren und Vorlagen an die Innenministerkonferenz über die zukünftige Ausrichtung der polizeilichen Verbundsysteme in der Bundesrepublik behauptet, dass das System INPOL-Fall „Performanceprobleme“ habe, also zu langsam sei. Wer allerdings mit welcher technischen Kompetenz zu dieser Aussage gekommen ist und auf welchen Untersuchungen, sollten sie denn stattgefunden haben, diese Aussagen beruhen – diese Information sucht man vergebens. Doch war diese Behauptung gut genug als Entscheidungsvorlage für die Innenministerkonferenz. Und die nickten die weitgehende Ablösung von INPOL-Fall ab. Das war im Herbst 2011 [3].

Die Gemeinsame Ermittlungsdatei im Staatsschutz (GED) – Zwischenlösung, die keine Lösung ist …

Bei der gleichen Sitzung lag den Innenministern des Länder auch der Vorschlag vor, dass eine „Gemeinsame Datei Großschadenslagen Terrorismus (GED) allgemein für gemeinsame Ermittlungen gegen gewaltbereiten Extremismus“ zur Verfügung stehen soll. Die Innenministerkonferenz stimmte auch diesem Vorschlag zu [3]. Es war wohl kein Zufall, dass das BKA mit einer entsprechenden Entwicklung schon begonnen hatte. Und wieder war es das Rola-System, das da als „GED“ zum Einsatz kam und für das seitdem 1,5 Millionen Euro ausgegeben wurden. Diese GED sollte insbesondere dann zum Einsatz kommen, wenn das Bundeskriminalamt Herr der Ermittlungen ist, was es, nach §4a des BKA-Gesetzes, in Fällen der Gefahrenabwehr und Strafverfolgung im Falle der Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus ist.

Ein flächendeckend effektiv funktionierendes, gemeinsames Verbundsystem für die Polizeien von Bund und Ländern im Falle von terroristischen Anschlägen steht damit allerdings noch immer nicht zur Verfügung. Denn es gibt zahlreiche Bundesländer, die eben nicht mit Rola-Systemen arbeiten und selbst für die, die innerhalb ihres Landes mit einem Rola-Fallbearbeitungssystem arbeiten, gilt teilweise das, was im Folgenden ausgeführt wird: Um Informationen in diese GED einzuspeisen, müssen Daten, die im landeseigenen Fallbearbeitungssystem längst vorliegen, dort extrahiert, zur Not auch abgeschrieben werden und an eigenen GED-Terminals erneut eingetippt werden. Diese Terminals sind über entsprechende Kommunikationsleitungen mit dem GED-Zentralsystem im BKA verbunden.

Solche Zusatzarbeiten führen, wie man sich unschwer vorstellen kann, gerade in den stressarmen Zeiten nach einem terroristischen Anschlag, in den Staatsschutzabteilungen der Landeskriminalämter zu besonders großer Begeisterung [Ironie Ende].

Wird endlich gut, was lange währt?! – Die Entwicklungsgeschichte des Polizeilichen Informations- und Analyseverbundes – PIAV

Noch ein drittes Beispiel für die Mängel beim „Verbinden von Datentöpfen“ in den deutschen Polizeibehörden darf an dieser Stelle nicht fehlen: Die Rede ist vom Polizeilichen Informations- und Analyseverbund PIAV.

„Alles neu macht der Mai“: Unter diesen Slogan könnte man stellen, dass im Mai diesen Jahres der Wirkbetrieb für eine erste Ausbaustufe des PIAV aufgenommen werden soll. Mit dem PIAV sollen die Polizeibehörden der Länder und des Bundes ein Verbundsystem nutzen können, quasi als gemeinsame Datenbank, in der sie Informationen von länderübergreifendem Interesse für andere Teilnehmer zur Verfügung stellen bzw. bei anderen Teilnehmern abfragen. Klingt super! Wäre auch ein echter Fortschritt! Doch die bisherige, lange Geschichte des PIAV lässt nichts Gutes befürchten.

Die Anfänge der Entwicklung des PIAV – 2007

Es fängt an mit der Tatsache, dass der PIAV schon im Jahr 2007 aus der Taufe gehoben wurde, aber in den neun Jahren seitdem nicht in Betrieb genommen werden konnte. Nur zum Vergleich: Die Amerikaner brauchten acht Jahre für eine erfolgreiche bemannte Mondlandung, nachdem Präsident Kennedy dieses Ziel im Jahr 1961 ausgegeben hatte!
Auf dem Taufpapier für den PIAV stand „Strategische Leitlinien zur Weiterentwicklung von INPOL“. [INPOL heißt das (bisherige und weiter zu betreibende) Verbundsystem der Polizeibehörden in Deutschland.] Die Innenministerkonferenz (IMK) nahm die Empfehlung zur Einführung eines PIAV, die in diesen Leitlinien enthalten ist, wohlwollend zur Kenntnis und schrieb die Absicht zur Einführung des PIAV in ihr Programm „Innere Sicherheit – Fortschreibung 2008/2009“ [4].

Fachkonzepte, Projektstudien und anderes – 2008 – 2011

Jetzt war ein Auftrag da: Und so arbeiteten mehrere Bund-Länder-Projektgruppen an Konzeptpapieren mit so wohlklingenden Namen wie „Fachkonzept“ (2008), „Projektstudie“ einer ersten Expertengruppe (2009) und „Abschlussbericht“ einer zweiten Expertengruppe (2011). Und die ständige Konferenz der Innenminister bzw. ihre Unterorganisationen nahmen erneut huldvoll und wohlwollend die eigens für sie aufbereiteten Kurzfassungen solcher Berichte zur Kenntnis.

Der NSU fliegt auf – und damit auch die bisherige Planung vom PIAV

Die gemächlichen Fortschritte zwischen 2007 und 2011 wurden jäh abgebrochen im Herbst 2011. Was begonnen hatte mit einem brennenden Wohnmobil in Erfurt wuchs sich für die Polizeibehörden aus zur erschreckenden Erkenntnis über die Existenz und Taten des Nationalsozialistischen Untergrunds – NSU. Wenige Wochen später, im Dezember 2011, machte die IMK daher richtig Druck: Sie nahm nämlich ins Protokoll ihrer Herbsttagung auf, dass sie der Auffassung sei, dass „mit Blick auf das Ermittlungsverfahren gegen die Terrorgruppe Nationalsozialistischer Untergrund die frühzeitige Einführung des geplanten polizeilichen Information und Analyseverbunds geboten“ sei [3]. [Nur zur Erinnerung: das war im Jahre 4 nach dem grundsätzlichen Beschluss zur Entwicklung des PIAV.]

Fachfeinkonzepte, Lösungsarchitekturen und Lastenhefte – PIAV im Jahr 2012

In Umsetzung dieses dringlichen Beschlusses stürzten sich im Jahr 2012 ganze Heerscharen von Experten beim BKA, sowie aus den Bundes- und Länderpolizeibehörden auf die Erarbeitung von weiteren Konzeptpapieren, die so wohlklingende Namen hatten wie ‚Fachfeinkonzept PIAV Operativ‘, oder ‚Lösungsarchitektur zum Zentralsystem‘, oder ‚Lastenheft zur Implementierung einer PIAV-Schnittstelle auf Teilnehmerseite‘. Parallel dazu arbeiteten andere Expertengruppen an den Spezifikationen für das gemeinsame Informationsmodell Polizei – IMP.

IMP-Pilotprojekt für den PIAV – 2012

2012 wurde es dann erstmals auch ganz praktisch. Es wurde nämlich ein Pilotprojekt durchgeführt, bei dem die drei in den Polizeibehörden von Bund und Ländern eingesetzten Fallbearbeitungssysteme (CRIME, POLYGON **) und das Rola-System mit seinen landesspezifischen Varianten) unter Beweis stellen sollten, dass sie in der Lage sind, auf der Basis des gemeinsamen, für PIAV verbindlichen Informationsmodell Polizei (IMP) und nach den damals vorhandenen Regeln über den Informations- und Nachrichtenaustausch im PIAV Daten und Nachrichten miteinander auszutauschen. Im Abschlussbericht dieses Pilotprojekts stand sinngemäß, dass alle drei Systeme diesen Test positiv absolviert hätten und somit grundsätzlich für PIAV geeignet seien.

Schwenk um 180 Grad – Waffen- und Sprengstoffdelikte werden die neue Ausbaustufe 1 des PIAV – Ende 2012

Das IMP-Pilotprojekt hatte sich auftragsgemäß fokussiert auf einen Deliktsbereich, der damals kriminalitätspolitisch besonders relevant war. Doch das politische Klima veränderte sich im Verlauf des Jahres 2012 stark durch die Erkenntnisse aus den Ermittlungen zum NSU. Die Innenpolitiker mussten eine der angespannten Situation angemessene Entscheidungsstärke beweisen und beschlossen daher auf ihrer Herbsttagung 2012, dass der PIAV in einer ersten Ausbaustufe für einen ganz anderen Deliktsbereich weiterentwickelt und in Betrieb gehen sollte, als bisher im Pilotprojekt erprobt [5]: Nun waren Waffen- und Sprengstoffdelikte gesetzt für die Ausbaustufe 1. Die entwaffnende Begründung für diesen Schwenk um 180 Grad bestand darin, dass bei terroristischen Anschlägen in der Regel Waffen bzw. Sprengstoff zum Einsatz kämen. [Ein anderer Grund besteht darin, dass die Menge und Komplexität der Informationen, die bei einem Waffen/Sprengstoffdelikt zu erfassen ist, sehr überschaubar ist. Man wählte also für eine erste Ausbaustufe im Wirkbetrieb ein möglichst simples Anforderungsprofil.]

Ausschreibung für PIAV Operativ Zentral beim BKA – Spätsommer 2013

Im Spätsommer des Jahres 2013 hatte es das BMI dann geschafft, eine Ausschreibung zu veröffentlichen für das zukünftige Zentralsystem für den PIAV [6]. Zu diesem Zeitpunkt wurde zum Beispiel im Bundestag noch erklärt, dass der PIAV, bei Bund und Ländern bis zum Ende des Jahres 2014 in den Betrieb gehen sollte.

Auftrag für PIAV Operativ Zentral – Wunschanbieter Rola wurde zuvor von T-Systems übernommen – Herbst 2014

Aus dieser Planung wurde nichts: Insbesondere verzögerte sich die Auftragserteilung für das PIAV-Zentralsystem bis in den Herbst 2014 hinein [7]. Das scheint, so sieht es von außen aus, daran gelegen zu haben, dass man zunächst Sorge dafür trug, dass die zuvor privatwirtschaftliche Firma Rola Security Solutions GmbH vom teilstaatlichen T-Systems Konzern erworben wurde. Danach erhielt Rola den Zuschlag für die Lieferung bzw. Entwicklung des Systems PIAV Operativ Zentral [8, 9]

Keine Inbetriebnahme im Jahr 2015 – Wirkbetrieb jetzt für Mai 2016 „geplant“

Auch aus der dann ins Auge gefassten Inbetriebnahme zum Ende des Jahres 2015 wurde nichts. Und nach der jüngsten, uns vorliegenden Auskunft eines Sprechers des BMI soll der Wirkbetrieb nun im Mai 2016 beginnen [10]. Probleme auf Seiten der Teilnehmersysteme bei Bund und Ländern hatten die an sich geplante, frühere Inbetriebnahme verhindert.

Kosten für den PIAV

Für die erste Phase des PIAV gab die Bundesregierung im Deutschen Bundestag „überschlägig“ Gesamtkosten von rund 62 Millionen € beim Bund und den Ländern an. Wie immer bei solchen behördlichen Kostenschätzungen sind die eigenen Personalkosten darin nicht enthalten. Was der PIAV tatsächlich bis heute gekostet hat, ist beim Bund und in den Ländern ein sorgsam gehütetes Geheimnis. Was auch daran liegt, dass bei den meisten Ländern, wie auch beim Bund, das Vergaberecht für die PIAV-relevanten Beschaffungen nicht die Beachtung fand, die der EU-Gesetzgeber ihm zugesteht. In den meisten Fällen wurde freihändig vergeben, häufig weder der Auftrag, noch der Zuschlag bekannt gemacht.

Aktuelle Verbesserungen durch den PIAV für den Informationsaustausch zwischen Polizeibehörden

Sollte der PIAV tatsächlich für die erste Ausbaustufe im Mai 2016 in den Wirkbetrieb gehen, bedeutet dies folgende Verbesserungen für den Informationsaustausch zwischen den Polizeibehörden innerhalb der Bundesrepublik Deutschland: Es werden dann Informationen im Zusammenhang mit Waffen- und Sprengstoffdelikten zwischen den PIAV-Teilnehmern geteilt werden können.

Im Bundeslagebild Waffenkriminalität für das Jahr 2014 [11], herausgegeben vom BKA, heißt es zur Relevanz dieses Deliktsbereich:

Die Anzahl der in Deutschland in der Polizeilichen Kriminalstatistik erfassten Straftaten gegen das Waffen- und das Kriegswaffenkontrollgesetz und der Straftaten unter Verwendung von Schusswaffen sind sowohl im Vergleich zum Vorjahr als auch in der Langzeitbetrachtung rückläufig. Straftaten, bei denen Schusswaffen verwendet wurden, machen lediglich rund 0,2 % aller in der PKS erfassten Fälle aus. Das für die Bevölkerung aus der Waffenkriminalität resultierende Gefährdungspotenzial ist daher insgesamt als gering zu bewerten, …

Weitere PIAV-Cluster (=Datentöpfe) für weitere Deliktsbereiche

Insgesamt sollen sieben verschiedene Deliktsbereiche durch den PIAV abgedeckt werden, wofür sieben verschiedene Datentöpfe gebildet werden, die im PIAV-Jargon „Cluster“ heißen: Dazu zählen zum Beispiel die Organisierte Kriminalität (OK), Wirtschaftskriminalität, Eigentumskriminalität, IuK-Kriminalität und natürlich auch der Staatsschutz. Dieser Deliktsbereich soll, so ist aus informierten Kreisen zu hören, keinesfalls „vor dem Jahr 2020“ in den Wirkbetrieb gehen.

Die aktuelle und künftige Situation: Informationsaustausch „zu Fuß“ im Falle terroristischer Anschläge

Im Falle terroristischer Anschläge, wie wir dies aktuell erleben, werden Bund und Länder also noch eine geraume Zeit weiterhin mit einer kaum mehr genutzten INPOL-Fall-Anwendung Lagefall-BAO arbeiten oder auf eine arbeitsintensive „Zwischenlösung“ mit der Gemeinsamen Ermittlungsdatei im Staatsschutz leben müssen. Im Ergebnis läuft beides auf das Gleiche hinaus: Informationen, aus Ermittlungen in den Ländern oder aus Hinweisen der Bevölkerung sind durchaus vorhanden, werden aber weder zentral zusammengeführt und ausgewertet und faktisch entweder gar nicht oder nicht im notwendigen Umfang miteinander geteilt, weil die technischen Ausstattung dafür unzureichend ist.
Und dafür sind nicht nur die föderale Struktur der Polizeibehörden und das erhebliche Mitgestaltungsrecht der Länder verantwortlich. Sondern auch erhebliche Mängel bei der Konzeption und Durchführung von IT-Projekten durch die Bundesregierung und insbesondere das Bundesinnenministerium [12].

Scheinargumente und Ablenkungstaktik durch Innenminister de Maizière

Herr de Maizière ist der oberste Dienstherr der beteiligten Bundesbehörden und Mit-Verantwortliche für diese Misere. Der verlangte gestern vollmundig im Gespräch mit den Tagesthemen nach einer Verbindung von bisher getrennten Datentöpfen zwischen den Polizeibehörden der Länder in Europa. Da stellt man sich die Frage, ob der Minister wirklich nicht Bescheid weiß darüber, dass diese Anforderung weder innerhalb der von ihm zu verantworten Polizeibehörden, noch zwischen den Polizeibehörden von Bund und Ländern auch nur ansatzweise erfüllt ist. Oder ob er zynisch in Kauf nimmt, dass ja ohnehin kaum ein Bürger weiß, wie (miserabel) es um die Leistungsfähigkeit der polizeilichen Informationssysteme in diesem Land bestellt ist. Sodass man als Minister munter Stimmung machen und Scheinargumente verbreiten kann, ohne dass die unkundigen Medien oder die nur unwesentlich kundigeren Abgeordneten in Bund und Ländern einen für die vorhandene Misere zur Verantwortung ziehen.

Die versteckten Botschaften des Innenministers

Herr de Maizière wäre auch nicht der, als den wir ihn in den vergangenen Jahren kennengelernt haben, wenn er bei einem Fernsehauftritt zu einer solchen Gelegenheit, nicht gleich noch zwei weitere Botschaften loswerden würde:

Forderung nach einer Vorratsdatenspeicherung für Ein- und Ausreisen für alle

Als erstes forderte er ein Ein- und Ausreiseregister für alle diejenigen, die in den Schengen-Raum hineinkommen oder den verlassen. Was faktisch auf eine umfassende Protokollierung und Speicherung jeder Reisetätigkeit hinausläuft, quasi also eine Vorratsdatenspeicherung aller Reisen, die die Außengrenzen des Schengen-Raums überschreiten – und zwar auch für alle reisenden Bewohner der Schengen-Staaten.

Diese Forderung ist anmaßend im Hinblick auf den damit verbundenen Eingriff in die Bürgerrechte. Sie ist unanständig, weil de Maizière wenige Minuten, nachdem er zu Beginn des Interviews verbale Tränen der Trauer über die Opfer von Brüssel vergossen hat, genau diese Opfer instrumentalisiert, um eine weitere Beschränkung der Bürgerrechte zu verlangen. Und sie ist unverfroren, weil de Maizière sehr genau weiß, dass er und seine Experten keinerlei Beweise dafür anbringen können, dass Vorratsdatenspeicherung jemals terroristische Anschläge verhindert hätte.

Und eine glatte Lüge: Datenschutzbedenken seien verantwortlich für fehlendem Informationsaustausch

Und zweitens verkaufte er dann noch mit bemerkenswerter Unverfrorenheit eine Unwahrheit (nicht zum ersten Mal …): Dass nämlich „massive Datenschutzbedenken“ der Grund seien, dass solche Verbindungen von getrennten Datentöpfen bisher nicht existieren. Und setzte darauf gleich noch das Mantra „Datenschutz ist schön, aber in Krisenzeiten hat die Sicherheit Vorrang.“

Appell an den Innenminister

Wir halten dem entgegen:

  • Herr de Maizière: Sorgen Sie dafür, dass die Polizeibehörden in Ihrem Verantwortungsbereich die Kompetenz erhalten und dass die personelle und technische Ausstattung vorhanden ist, um effektiv für Sicherheit in diesem Land zu sorgen. Und stellen Sie – als Verantwortlicher für die Zentralsysteme beim BKA – sicher, dass dort Technik und Systeme zum Einsatz kommen, die nicht nach „Methode Buddy“ mal so eben und über Jahre hinweg „freihändig“ beschafft werden, sondern aufgrund objektiver, kompetenter, technisch und fachlich begründeter, nachvollziehbarer Bewertungs- und Entscheidungskriterien.
  • Hören Sie auf, Dinge von anderen zu fordern, die Sie selbst im eigenen Verantwortungsbereich nicht hinkriegen.
  • Lassen Sie es bleiben, mit unlauteren Versprechungen immer mehr Überwachung zu fordern und durchzudrücken.
  • Und lassen Sie den Datenschutz in Ruhe. Viel wäre gewonnen, wenn Ihre Sicherheitsbehörden und die von diesen eingesetzten techischen Systeme wenigstens beachten würden, was aktuell an datenschutzrechtlichen Geboten in den Gesetzen steht.

Das, Herr De Maizière, wäre viel zu tun für Sie – und ein wirklicher Fortschritt für die Bürger in diesem Land!

Fußnote

**) Die Verfasserin war zum damaligen Zeitpunkt Projektleiterin für polizeiliche Informationssysteme bei der Firma Polygon Visual Content Management GmbH, dem Hersteller / Anbieter des polizeilichen Informationssystems POLYGON und als Projektleiterin dieser Firma auch beteiligt am Pilotprojekt IMP …

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Quellen

[1]   De Maizière will an die Datentöpfe, Tagesthemen, 22.03.2016, 21:35
http://www.tagesschau.de/inland/de-maiziere-interview-107.html

[2]   Weit besser als sein Ruf: INPOL-Fall, der Vorläufer des PIAV, 01.10.2013, POLICE-IT
https://police-it.net/weit-besser-als-sein-ruf-inpol-fall-der-vorlaeufer-des-piav-4335

[3]   Freigegebene Beschlüsse der 193.Sitzung der Innenministerkonferenz, 2011
http://www.innenministerkonferenz.de/IMK/DE/termine/to-beschluesse/20111209.html?nn=4812328

[4]   Programm Innere Sicherheit, Fortschreibung 2008/2009
http://www.mik.brandenburg.de/sixcms/media.php/1056/Programm_Innere_Sicherheit.pdf

[5]   Freigegebene Beschlüsse der 198. Sitzung der Innenministerkonferenz, 2012
http://www.innenministerkonferenz.de/IMK/DE/termine/to-beschluesse/20131206.html?nn=4812328

[6]   Lobbyismus, Gemauschel und ein holpriger Start für dne PIAV; 23.09.2013, POLICE-IT
https://police-it.net/lobbyismus-gemauschel-und-ein-holpriger-start-fuer-den-piav

[7]   PIAV: Der ideale Kandidat ist noch nicht geboren, 12.01.2014, POLICE-IT
https://police-it.net/piav-der-ideale-kandidat-ist-noch-nicht-geboren

[8]   Erneute Verzögerungen beim PIAV, Nicht ganz unerwartet …, 26.04.2014, POLICE-IT
https://police-it.net/erneute-verzoegerungen-beim-piav-nicht-ganz-unerwartet

[9]   Wie der ideale Kandidat gemacht wurde, 26.05.2014, POLICE-IT
https://police-it.net/piav-wie-der-ideale-kandidat-gemacht-wurde

[10]   Schon wieder Verzögerung beim PIAV: Jetzt klemmt es bei den Teilnehmersystemen, 16.12.2015, POLICE-IT
https://police-it.net/schon-wieder-verzoegerung-beim-piav-jetzt-klemmt-es-bei-den-teilnehmersystemen-10430

[11]   Bundeslagebild Waffenkriminalität, 2014, Bundeskriminalamt
https://www.bka.de/SharedDocs/Downloads/DE/Publikationen/JahresberichteUndLagebilder/Waffenkriminalitaet/waffenkriminalitaetBundeslagebild2015.pdf?__blob=publicationFile&v=3

[12]   Massive Kritik des Bundesrechnungshofs an den IT-Projekten des Bundes, 23.10.2014, POLICE-IT
https://police-it.net/massive-kritik-des-rechnungshofs-an-it-projekten-des-bundes-7765

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